Stereoinduktion α-chiraler Carbonyle

Bei der Umsetzung von α-chiraler Carbonyle ist eine Stereoinduktion empirisch zu beobachten, die das angreifende Nukleophil bevorzugt auf einer Seite der prochiralen Carbonylfunktion angreifen lässt. Dies führt zur Bildung eines neuen Stereozentrums.

Bei der folgenden Reaktion führt die Grignardaddition des Methyls am Aldehyd zur Ausbildung eines neuen Stereozentrums. Hier kann so zum Beispiel sowohl das syn- als auch das anti-Diastereomer entstehen. Die Konfiguration des Stereozentrums kann man mehreren Modellen vorhergesagt werden, die im folgenden erläutert werden.

Donald J. Cram entwickelte aus empirischen Daten ein Modell zur Vorhersage der Konfiguration bei Additionsreaktionen an α-chiralen Carbonylen.1) Nach seinem Modell werden die Reste am α-chiralen Zentrum nach Größe geordnet. Der Substituent mit der größten Raumerfüllung steht antiperiplanar zur Carbonylfunktion. Nun greift das Nukleophil im Bürgi-Dunitz-Winkel (107°) auf der sterisch weniger gehinderten Seite an. Dieses Modell ist in der folgenden Abbildung dargestellt:

Typische Diastereomerenverhältnisse sind bei solchen Reaktionen 2:1 bis zu 4:1. Es ist zu beachten, dass bei der Anwendung der Cramschen Regel eine Koordination des Nukleophils am Carbonyl oder am Substrat unberücksichtigt bleibt. Zudem bildet das Modell reine sterische Interaktionen ab, elektronische Faktoren werden nicht berücksichtigt.

Weitere Untersuchungen führten zur Entwicklung des Felkin-Anh Modells.2) Bei diesem Modell wird angenommen, dass sich ein früher, eduktähnlicher Übergangszustand bildet. Da auch das Nukleophil einen Beitrag zur Torsionsspannung leistet erfolgt der Angriff zwischen dem kleineren und mittleren Rest im Bürgi-Dunitz Winkel. Die Stereokontrolle wird dabei hauptsächlich durch R und dem Nukleophil bestimmt und nicht wie im Cram Modell durch den größten Substituenten und der Carbonylgruppe.

Dieses Modell ist in folgender Abbildung dargestellt. Unter den abgebildeten Übergangszuständen ist die sterische Repulsion im Übergangszustand I am geringsten. Im Falle der Grignardaddition von MeMgI an (S)-2-Phenylpropanal kommt es zur Ausbildung des syn-Produkts - auch in Übereinstimmung mit dem Cramschen Modell.

Im Gegensatz zum Cramschen Modell wird bei der Betrachtung von Felkin-Anh elektronenziehende Gruppen miteinbezogen. Diese werden antiperiplaner zum angreifenden Nukleophil angeordnet. Dies wird in folgender Abbildung dargestellt. Bei der Addition von PhLi an den Aldehyd entsteht hauptsächlich das anti Produkt.3)


1)
D. J. Cram, F. A. A. Elhafez, J. Am. Chem. Soc. 1952, 74, 5828-5835.
2)
M. Cherest, H. Felkin, N. Prudent, Tetrahedron Lett. 1968, 18, 2199-2204.
3)
Scott E. Denmark, Pavel Ryabchuk, Matthew T. Burk, Bradley B. Gilbert J. Org. Chem. 2016, 81, 10411–10423.